Gefährdungsbeurteilung für Staplereinsätze – ein praktischer Leitfaden
Eine Gefährdungsbeurteilung ist gesetzlich vorgeschrieben und unverzichtbar, um Arbeitsunfälle zu vermeiden – insbesondere beim Einsatz von Flurförderzeugen wie Gabelstaplern, bei denen das Unfallrisiko besonders hoch ist.
Rechtliche Grundlagen
Überblick über die rechtlichen Anforderungen
Die Gefährdungsbeurteilung ist eine zentrale Pflicht für Arbeitgeber und bildet die Basis der Arbeitssicherheit – sie ist in § 5 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) verankert und damit gesetzlich vorgeschrieben. Darüber hinaus regelt die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) konkret die Bereitstellung, Nutzung und Prüfung von Arbeitsmitteln wie Gabelstaplern. Sie setzt dabei den „Stand der Technik“ als Sicherheitsmaßstab und fordert geeignete Schutzmaßnahmen sowie regelmäßige Prüfungen.
Ergänzend gelten die DGUV Vorschriften, insbesondere DGUV Vorschrift 68 – Flurförderzeuge, die verbindliche Vorgaben zur sicheren Nutzung von staplern enthalten. Hier werden etwa Anforderungen an die Ausbildung und schriftliche Beauftragung von Fahrern, die ordnungsgemäße Verwendung, Instandhaltung und wiederkehrende Prüfungen fixiert. Die Beauftragung zum Fahren eines Flurförderzeugs muss schriftlich erfolgen und darf nur an Personen ab 18 geführt werden, die geeignet, ausgebildet und befähigt sind.
Relevante Normen zur sicheren Auslegung von Staplern
Zur technischen Ausgestaltung und Absicherung von Staplern sind internationale Normen maßgeblich. DIN EN ISO 3691‑1 legt die sicherheitstechnischen Anforderungen und Prüfverfahren für selbstfahrende Flurförderzeuge fest – ausgenommen fahrerlose Stapler, Reach-Trucks und Lastentransportwagen. Sie ist seit 2011 gültig und wurde zuletzt um eine Änderung im Jahr 2020 ergänzt.
Für fahrerlose Flurförderzeuge (z. B. Automated Guided Vehicles – AGVs) definiert die DIN EN ISO 3691‑4 spezifische Sicherheitsanforderungen und Verifizierungsverfahren. Die neueste Fassung DIN EN ISO 3691‑4:2023 (veröffentlicht im Dezember 2023) entspricht dem modernen Stand der Technik, z. B. hinsichtlich Virtual-Bumper-Technologie, Hybridbetrieb oder sicherheitsrelevanter Abstände.
Die Handlungsschritte der Gefährdungsbeurteilung
Der Prozess der Gefährdungsbeurteilung folgt bewährten methodischen Schritten, um Risiken systematisch zu erfassen und zu minimieren. Laut BGW und BAuA gliedert er sich wie folgt:
1. Arbeitsbereiche und Tätigkeiten definieren
Zunächst wird festgelegt, welche konkreten Tätigkeiten und Arbeitsbereiche – etwa Staplereinsätze – beurteilt werden sollen.
2. Gefährdungen erkennen
In diesem Schritt werden alle potenziellen Gefährdungen erfasst, z. B. durch Begehungen, Gespräche mit Mitarbeiter:innen oder Analyse von Unfalldaten.
3. Risiken bewerten
Überprüfung, ob ein erkanntes Risiko vernachlässigbar, noch akzeptabel oder inakzeptabel ist – dabei werden Schwere und Wahrscheinlichkeit beurteilt.
4. Maßnahmen planen (festlegen)
Basierend auf der Bewertung werden Schutzmaßnahmen priorisiert: zuerst versuchen, Gefahren zu vermeiden, andernfalls technische, organisatorische oder personenbezogene Maßnahmen ergreifen.
5. Maßnahmen umsetzen
Der Arbeitgeber bzw. die verantwortliche Führungskraft trägt dafür Sorge, dass die Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden.
6. Wirksamkeit überprüfen
Die Umsetzung wird auf ihre Effektivität hin überprüft – nur wirksame Maßnahmen sind fortzuführen.
7. Fortschreibung der Gefährdungsbeurteilung
Der Prozess bleibt dynamisch: bei Änderungen im Betrieb, neuen Vorschriften oder nach Unfällen wird die Gefährdungsbeurteilung aktualisiert.
Beteiligte bei der Gefährdungsbeurteilung:
• Unternehmer / Unternehmensleitung
Verantwortlich für die Organisation und inhaltliche Korrektheit der Gefährdungsbeurteilung; sie können Aufgaben delegieren, behalten aber die Verantwortung.
• Fachkraft für Arbeitssicherheit (SiFa) und Betriebsärzt:innen
Unterstützen beratend bei Identifikation von Risiken und Ableitung geeigneter Maßnahmen.
• Betriebsrat
Hat ein gesetzliches Mitbestimmungsrecht bei der Gefährdungsbeurteilung – auch wenn noch keine konkrete Gefahr erkennbar ist.
• Weitere Beteiligte:
Dazu gehören Führungskräfte (z. B. Bereichsleiter), Sicherheitsbeauftragte sowie – je nach Unternehmensgröße – Arbeitsschutzausschüsse oder Beschäftigte, die durch Informationen aus der Praxis zur Beurteilung beitragen.
Typische Gefährdungen bei Staplereinsätzen
Physische Risiken
• Kipp- und Sturzunfälle: Stapler kippen häufig bei zu schneller Kurvenfahrt, Fahren mit angehobener oder unsachgemäß aufgenommener Last. Besonders kritisch sind Kurvenfahrten mit hohem Lastschwerpunkt oder auf unebenen Untergründen.
• Kollisionen mit Personen oder Hindernissen: Eingeschränkte Sicht, unübersichtliche Bereiche oder fehlende Verkehrsregelungen können Zusammenstöße verursachen.
• Fallende Lasten: Unzureichend gesicherte, übergroße oder falsch positionierte Ladung kann stürzen, Personen verletzen oder Schäden verursachen.
• Technische Defekte und unsachgemäße Bedienung: Mangelhafte Wartung (z. B. defekte Bremsen oder Lenkung) und Bedienfehler erhöhen Risiken deutlich.
Weitere Gefährdungen
• Falsch aufgenommene Last: Wenn Lasten nicht zentriert, unsymmetrisch oder mit falschem Schwerpunkt aufgenommen werden, kann der Stapler instabil werden und kippen.
• Überlastung: Wird die maximale Tragfähigkeit überschritten, gerät das Fahrzeug schnell ins Ungleichgewicht – auch kurzfristige Überladung ist gefährlich.
Maßnahmenableitung & Präventionshierarchie
Gefahr vermeiden – technische Schutzvorrichtungen
Am Anfang der Prävention steht die Vermeidung von Gefahren durch technische Mittel. Ein Fahrerschutzdach ist unerlässlich, wenn Güter über die Höhe von 1,8 m gehoben werden – es schützt vor herabfallenden Lasten durch eine Gitterkonstruktion mit Öffnungen von max. 150 mm. Ergänzend dazu sorgt ein Lastschutzgitter dafür, dass auch kleinere Gegenstände gesichert bleiben und nicht nach hinten durchrutschen. Weiterhin kommen Rückhaltesysteme (z. B. Gurtstraffung oder Haltevorrichtungen) zum Einsatz, um den Fahrer bei einem Umsturz effektiv zu schützen.
Organisatorische Maßnahmen
Organisatorische Vorsorge ergänzt technische Maßnahmen gezielt:
• Klare Betriebsanweisungen müssen vom Unternehmer erstellt und am Arbeitsplatz bekannt gemacht werden. Sie informieren über Gefahren, richtige Nutzung und umweltgerechtes Verhalten beim Staplereinsatz.
• Regelmäßige Unterweisungen basierend auf diesen Betriebsanweisungen sind Pflicht. Sie müssen vor dem ersten Einsatz und mindestens einmal jährlich erfolgen – insbesondere, wenn sich Arbeitsbedingungen ändern oder neue Gefährdungen hinzukommen.
• Lade- und Wartungspläne tragen dazu bei, Stapler dauerhaft funktionstüchtig zu halten und technische Gefährdungen frühzeitig zu erkennen – etwa durch regelmäßige Prüfungen gemäß DGUV Vorschrift 68 und Betriebssicherheitsverordnung (mindestens jährlich durch befähigte Personen).
Schulung & Qualifikation
Fundierte Schulung ist ein zentraler Baustein in der Präventionskette:
• Gemäß DGUV Grundsatz 308‑001 (BGG 925) müssen Staplerfahrer:innen eine kombinierte theoretische und praktische Ausbildung durchlaufen, die mit Prüfung abschließt. Der dadurch ausgestellte Ausbildungsnachweis bildet die Grundlage für die eigenverantwortliche Bedienung.
• Erst nach erfolgreicher Schulung dürfen Fahrer:innen – schriftlich vom Unternehmen beauftragt – Flurförderzeuge bedienen. Dabei muss klar definiert sein, für welche Geräte (z. B. nach Bauart oder Tragfähigkeit) die Beauftragung gilt.
Dokumentation & Kontrolle
Schriftliche Dokumentation aller Maßnahmen
Alle im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung definierten Maßnahmen müssen schriftlich festgehalten werden – einschließlich der jeweiligen Prüfintervalle und Zuständigkeiten. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Dokumentation digital oder auf Papier erfolgt; das Arbeitsschutzgesetz fordert lediglich eine nachvollziehbare Dokumentation des gesamten Prozesses, inklusive der Ergebnisprotokolle, Maßnahmen und Kontrollmöglichkeiten.
Darüber hinaus informiert die Gefährdungsbeurteilung den Unternehmer über Art, Umfang und Fristen der notwendigen Prüfungen – ergänzt durch die Betriebssicherheitsverordnung (§ 3 Abs. 3 BetrSichV). Um sicher im Prüfungsfall (z. B. BG‑Überprüfung) bestehen zu können, sind dokumentierte Nachweise der Maßnahmen und Kontrollen unerlässlich.
Wiederkehrende Prüfungen durch befähigte Personen
Stapler zählen zu den Arbeitsmitteln, die mindestens einmal jährlich durch eine „befähigte Person“ geprüft werden müssen – gemäß den Vorgaben der Betriebssicherheitsverordnung und der Technischen Regel für Betriebssicherheit TRBS 1203. Die TRBS 1203 definiert die Anforderungen an diese befähigte Person – insbesondere Ausbildung, Erfahrung und fachliche Aktualität.
Im Rahmen dieser Prüfungen müssen die Prüffristen, Prüfverfahren, Ergebnisse und Befunde dokumentiert werden – auch das ist zwingend vorgeschrieben.
Fazit
Eine sorgfältig durchgeführte Gefährdungsbeurteilung ist keine bürokratische Pflicht, sondern bildet eine unverzichtbare Grundlage für Sicherheit und Rechtssicherheit im Betrieb. Sie dient nicht nur dem Schutz der Beschäftigten, sondern legt auch den Grundstein für eine präventive und verantwortungsvolle Unternehmenskultur.
Die Gefährdungsbeurteilung hilft dabei, potenzielle Risiken frühzeitig zu erkennen und gezielt Maßnahmen abzuleiten – das minimiert Unfall- und Gesundheitsrisiken wirksam. Gleichzeitig schafft sie Rechtssicherheit für Arbeitgeber und unterstützt die Einhaltung gesetzlicher Anforderungen.
Darüber hinaus fördert sie das Sicherheitsbewusstsein im Betrieb – ein entscheidender Faktor, um Arbeitsschutz nicht nur als Pflicht zu verstehen, sondern als gelebte Gemeinschaftsaufgabe. So wird sichere Arbeit zum Ausdruck unternehmerischer Sorgfalt und zur Basis für Motivation und langfristige Wettbewerbsfähigkeit.